Wenn die eigene Mutter eine Fremde ist

“Wie es ist, keine Bindung zu meiner eigenen Mama zu haben“

Mir fällt es sehr schwer; schwer die Beziehung zu meiner Mutter in Worte zu fassen.

denn wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, habe ich keine.

Es hat 25 Jahre gedauert, bis ich mir das eingestehen konnte; und was noch wichtiger ist, bis ich endlich verstand, warum diese Bindung zu ihr nicht existiert. Ich verstand lange nicht, warum ich dieses natürliche Bedürfnis nicht verspüre, wissen zu wollen, wie es ihr geht, ob es ihr gut geht oder - so grotesk es auch klingen mag - ob sie überhaupt noch lebt. Meine Mutter wirft mir genau das bei jedem Telefonat, dass wir führen, immer wieder vor und irgendwann musste ich anerkennen, dass sie recht hat: Es war mir egal. Es ist mir egal.

Ich dachte lange, ich sei falsch. Herzlos. Undankbar. Kalt.
Doch heute weiß ich: Man kann nichts verlieren, was man nie bekommen hat. Und Nähe lässt sich eben nicht einfach herbeizwingen, wenn Bindung nie entstehen durfte.

Und meine Gleichgültigkeit ist nicht kalt.

Sie ist nur erfrorene Hoffnung.

Viele Jahre habe ich mir deshalb Vorwürfe gemacht, mir den Kopf darüber zerbrochen, wieso es mir nicht wichtig ist; wichtig, meine Mom zu besuchen, sie anzurufen oder zu wissen, wie es ihr geht. Bis zu dem Augenblick in dem ich mich erinnerte. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen: Meine Kindheit bestand aus warten.

Diesem kindlichen Warten: das sich wie eine Ewigkeit anfühlt. Vor verschlossenen Türen. Auf Wärme. Auf jemanden, der endlich auftaucht.

Auf eine Mutter.

Ich saß zu oft auf dem Sockel vor unserem Wohnkomplex, starrte die Straße hinunter, schwenkte meinen Kopf so lange hin und her, bis mir schwindelig wurde – in der verzweifelten Hoffnung, ihre Silhouette zu sehen.

Während mein Magen knurrte, mein Körper fror und ich schmerzlich lernte, dass man mich vergessen kann.

Für ein Kind ist Warten nicht einfach nur „Zeit“ – Warten ist Angst. Warten ist Unsicherheit.
Warten ist: „Vielleicht hat sie mich vergessen.“

Diese Erfahrung prägt.
Sie hinterlässt Spuren und Kinder, die zu früh erwachsen werden müssen, tragen keine Flügel – sie tragen Narben, die fliegen gelernt haben.
So lernte auch ich, mich selbst zu halten, nicht zu brauchen. Ich lernte, dass Bindung ein Privileg ist.

Spuren, die keine Mutter hinterlassen sollte.

Denn die Spielsucht war ihr eigentliches Kind, das ihre ganze Zeit, ihre Energie und ihre Liebe verschlang – bis nichts mehr für mich übrigblieb. Und dieses Echo dessen spüre ich bis heute. Doch wie erklärt man einer Mutter, dass man keine Liebe fühlt, weil man nie welche bekommen hat?

Meine Gleichgültigkeit ist kein Mangel an Herz – sie ist nur der Beweis, dass mein Herz sich selbst schützen musste, weil sie es nicht konnte.

Heute weiß ich: Auch meine Mutter ist ein gebrochenes Kind.
Sie konnte es nicht besser; besser, als ihre eigenen Konditionen und Traumata es zugelassen haben. Eben auch nur eine Seele, die von etwas zerstört wurde, das Sie selbst nicht besiegen konnte.

Ich möchte meine Mama lieben; würde mir von Herzen eine Bindung zu ihr wünschen, doch aufzuholen, was nie aufgebaut wurde, ist einfach nicht drin. Also blieb mir nur eines:

Mir selbst zu verzeihen.
Für das Nichtfühlen.
Für die Distanz.
Für mein Überleben.

Für Sie.
Für Mich.
Für Uns.

Ich kann nicht mehr ändern, was mir durch ihre Sucht genommen wurde, aber ich kann wählen, was ab heute wachsen darf.

 

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